Montag, 23. März 2020

Ökonomische Theorie des Klopapiers

Die Witze darüber sind in aller Munde und verbreiten sich seit Tagen über die sozialen Medien: Deutschland sucht das Klopapier, findet es aber nicht, jedenfalls nicht in den Regalen der Supermärkte und Drogerien. Die Hamsterer sind unterwegs und kaufen den Läden das begehrte Gut schneller weg als es nachgeliefert werden kann. Wie konnte es so weit kommen? Dazu einige Überlegungen aus der Perspektive der ökonomischen Theorie.

Die erste Frage ist, ob Toilettenpapier überhaupt ein Gut ist, dass einem spontan einfallen würde, wenn es um das Hamstern in Krisenzeiten geht. Die Antwort ist ein klares Nein. Zum einen ist es nicht wirklich lebensnotwendig, zumal der Corona-Virus ja auch keine Magen-Darm-Grippe mit den entsprechenden Symptomen verursacht. Zum anderen ist es ein (produktionstechnisch betrachtet) einfaches Gut, für dessen nicht aufwendige Herstellung als Rohstoffe nur Wasser, Energie und Holz bzw. Papier/Pappe benötigt werden. Die Hersteller können die Menge bei wachsendem Bedarf also ohne großen Aufwand steigern und die Kauflust der Haushalte befriedigen. All das unterscheidet Toilettenpapier von Lebensmitteln, die erstens wirklich essentiell sind und zweitens nicht so einfach nachproduziert werden können, weil (bei pflanzlichen Lebensmitteln) Ernte- bzw. (bei tierischen Lebensmitteln) Zuchtzyklen für eine gewisse Zeitverzögerung bei der Produktionsausweitung sorgen.

Toilettenpapier ist somit eigentlich kein Hamstergut, wird aber paradoxerweise zur Zeit gerade massiv gehamstert. Damit wären wir wieder bei der Frage, wie es dazu kommen konnte. Hier spielt das ökonomische Phänomen der „selbsterfüllenden Prophezeiung“ die entscheidende Rolle. Als immer klarer wurde, dass wir auf eine Krise zusteuerten, gab es in den sozialen Medien erste Berichte über Knappheiten bei bestimmten Produkten, darunter auch Toilettenpapier. Dass diese Knappheiten zwar hin und wieder in den Regalen, nie aber in der Wirtschaft insgesamt vorkamen (und vorkommen), ist auf die Just-in-Time-Struktur der modernen Wirtschaft zurückzuführen. Supermärkte sowie Großhändler haben heutzutage keine nennenswerte Lagerhaltung mehr. Die Lager der Gegenwart rollen bzw. stehen auf der rechten Spur unserer Autobahnen. Jeder Supermarkt hat immer nur so viel Ware, wie normalerweise verkauft wird, bis die nächste Lieferung kommt.

Ein Rechenbeispiel: Ein Supermarkt hat 1200 Kunden, die im Schnitt alle zwei Wochen eine Packung Klopapier kaufen. Das sind 600 Packungen pro Woche und – bei sechs Werktagen – 100 verkaufte Packungen pro Tag. Entsprechend kommt jeden Werktag ein LKW, der dem Supermarkt die durchschnittlich 100 benötigten Packungen bringt. Wenn jetzt wegen der möglichen Krise von den insgesamt 1.200 Klopapier-Kunden des Supermarktes bereits am Montagvormittag nur 50 (das sind gut 4%) zum Supermarkt fahren und jeweils statt einer Packung Toilettenpapier zwei kaufen, dann ist das Klopapierregal am Montagmittag leer. Die Bilder davon kursieren in den sozialen Netzwerken, und am nächsten Morgen fahren statt 50 diesmal 100 Kunden zum Supermarkt, von denen 65 nichts mehr abbekommen, weil die ersten 35 drei statt einer oder zwei Packungen gekauft haben. Diesmal verbreiten sich nicht nur die Bilder von leeren Regalen im Internet, sondern auch von Konsumenten, die sich um das begehrte Gut streiten.

Die erwähnte „selbsterfüllende Prophezeiung“ äußert sich nun darin, dass je mehr Leute zum Supermarkt fahren, um Klopapier zu kaufen, desto schneller sind die Regale leer und desto mehr Leute fahren zum Supermarkt. Und so weiter, und so fort. Selbst Menschen, die an sich rational sind, überlegen nun: „Wer weiß, wann es wieder Toilettenpapier gibt“ bzw. „Wenn ich es dann wirklich brauche, habe ich keine Lust, von Supermarkt zu Supermarkt zu fahren.“ Was tun sie? Sobald sie das Ersehnte sehen, kaufen sie gleich zwei oder drei Packungen, unabhängig davon, ob sie so viel wirklich in nächster Zeit brauchen oder nicht. Sicher ist sicher. Damit ist eine Spirale in Gang gesetzt, die nur schwer zu stoppen ist. Letzteres könnte nur gelingen, wenn die Lieferketten geändert und die Supermärkte mit Toilettenpapier, das nach wie vor bei den Herstellern in Hülle und Fülle zu haben ist und zu haben sein wird, regelrecht zugeschüttet werden. Aber auch Logistiker haben zur Zeit Kinder zu betreuen und wahrscheinlich noch einige andere Herausforderungen, die eine höhere Priorität haben als die Bekämpfung einer Klopapier-Hysterie.

Fazit: Jeder einzelne Konsument handelt letztendlich aus seiner egoistischen Perspektive erst einmal vernünftig, aber ohne die Auswirkungen auf die anderen zu betrachten, die darunter leiden. Man spricht hier von der Diskrepanz zwischen individueller und kollektiver Rationalität: Was für das Individuum gerade sinnvoll sein mag, kann dem Kollektiv, der Allgemeinheit, schaden.


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