Die
Witze darüber sind in aller Munde und verbreiten sich seit Tagen über
die sozialen Medien: Deutschland sucht das Klopapier, findet es aber
nicht, jedenfalls nicht in den Regalen der Supermärkte und Drogerien.
Die Hamsterer sind unterwegs und kaufen den Läden das begehrte Gut
schneller weg als es nachgeliefert werden kann. Wie konnte es so weit
kommen? Dazu einige Überlegungen aus der Perspektive der ökonomischen Theorie.
Die erste Frage ist, ob Toilettenpapier überhaupt ein Gut ist, dass
einem spontan einfallen würde, wenn es um das Hamstern in Krisenzeiten
geht. Die Antwort ist ein klares Nein. Zum einen ist es nicht wirklich
lebensnotwendig, zumal der Corona-Virus ja auch keine Magen-Darm-Grippe
mit den entsprechenden Symptomen verursacht. Zum anderen ist es ein
(produktionstechnisch betrachtet) einfaches Gut, für dessen nicht
aufwendige Herstellung als Rohstoffe nur Wasser, Energie und Holz bzw.
Papier/Pappe benötigt werden. Die Hersteller können die Menge bei
wachsendem Bedarf also ohne großen Aufwand steigern und die Kauflust der
Haushalte befriedigen. All das unterscheidet Toilettenpapier von
Lebensmitteln, die erstens wirklich essentiell sind und zweitens nicht
so einfach nachproduziert werden können, weil (bei pflanzlichen
Lebensmitteln) Ernte- bzw. (bei tierischen Lebensmitteln) Zuchtzyklen
für eine gewisse Zeitverzögerung bei der Produktionsausweitung sorgen.
Toilettenpapier ist somit eigentlich kein Hamstergut, wird aber
paradoxerweise zur Zeit gerade massiv gehamstert. Damit wären wir wieder
bei der Frage, wie es dazu kommen konnte. Hier spielt das ökonomische
Phänomen der „selbsterfüllenden Prophezeiung“ die entscheidende Rolle.
Als immer klarer wurde, dass wir auf eine Krise zusteuerten, gab es in
den sozialen Medien erste Berichte über Knappheiten bei bestimmten
Produkten, darunter auch Toilettenpapier. Dass diese Knappheiten zwar
hin und wieder in den Regalen, nie aber in der Wirtschaft insgesamt
vorkamen (und vorkommen), ist auf die Just-in-Time-Struktur der modernen
Wirtschaft zurückzuführen. Supermärkte sowie Großhändler haben
heutzutage keine nennenswerte Lagerhaltung mehr. Die Lager der Gegenwart
rollen bzw. stehen auf der rechten Spur unserer Autobahnen. Jeder
Supermarkt hat immer nur so viel Ware, wie normalerweise verkauft wird,
bis die nächste Lieferung kommt.
Ein Rechenbeispiel: Ein
Supermarkt hat 1200 Kunden, die im Schnitt alle zwei Wochen eine Packung
Klopapier kaufen. Das sind 600 Packungen pro Woche und – bei sechs
Werktagen – 100 verkaufte Packungen pro Tag. Entsprechend kommt jeden
Werktag ein LKW, der dem Supermarkt die durchschnittlich 100 benötigten
Packungen bringt. Wenn jetzt wegen der möglichen Krise von den insgesamt
1.200 Klopapier-Kunden des Supermarktes bereits am Montagvormittag nur
50 (das sind gut 4%) zum Supermarkt fahren und jeweils statt einer
Packung Toilettenpapier zwei kaufen, dann ist das Klopapierregal am
Montagmittag leer. Die Bilder davon kursieren in den sozialen
Netzwerken, und am nächsten Morgen fahren statt 50 diesmal 100 Kunden
zum Supermarkt, von denen 65 nichts mehr abbekommen, weil die ersten 35
drei statt einer oder zwei Packungen gekauft haben. Diesmal verbreiten
sich nicht nur die Bilder von leeren Regalen im Internet, sondern auch
von Konsumenten, die sich um das begehrte Gut streiten.
Die
erwähnte „selbsterfüllende Prophezeiung“ äußert sich nun darin, dass je
mehr Leute zum Supermarkt fahren, um Klopapier zu kaufen, desto
schneller sind die Regale leer und desto mehr Leute fahren zum
Supermarkt. Und so weiter, und so fort. Selbst Menschen, die an sich
rational sind, überlegen nun: „Wer weiß, wann es wieder Toilettenpapier
gibt“ bzw. „Wenn ich es dann wirklich brauche, habe ich keine Lust, von
Supermarkt zu Supermarkt zu fahren.“ Was tun sie? Sobald sie das
Ersehnte sehen, kaufen sie gleich zwei oder drei Packungen, unabhängig
davon, ob sie so viel wirklich in nächster Zeit brauchen oder nicht.
Sicher ist sicher. Damit ist eine Spirale in Gang gesetzt, die nur
schwer zu stoppen ist. Letzteres könnte nur gelingen, wenn die
Lieferketten geändert und die Supermärkte mit Toilettenpapier, das nach
wie vor bei den Herstellern in Hülle und Fülle zu haben ist und zu haben
sein wird, regelrecht zugeschüttet werden. Aber auch Logistiker haben
zur Zeit Kinder zu betreuen und wahrscheinlich noch einige andere
Herausforderungen, die eine höhere Priorität haben als die Bekämpfung
einer Klopapier-Hysterie.
Fazit: Jeder einzelne Konsument
handelt letztendlich aus seiner egoistischen Perspektive erst einmal
vernünftig, aber ohne die Auswirkungen auf die anderen zu betrachten,
die darunter leiden. Man spricht hier von der Diskrepanz zwischen
individueller und kollektiver Rationalität: Was für das Individuum
gerade sinnvoll sein mag, kann dem Kollektiv, der Allgemeinheit,
schaden.
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