Freitag, 5. Juli 2024

Der Fortschritt ist eine Schnecke...

...hat Günter Grass mal geschrieben. Aber auch Schnecken kommen voran und erreichen (meistens) irgendwann ihr Ziel – zum Beispiel den Salat im heimischen Garten. Der Besitzer dieses Gartens muss dann womöglich auf seinen Salatteller verzichten und steht dieser Art des Fortschritts daher eher skeptisch gegenüber.
 
Zum Fortschritt im Einzelhandel gehörten in den siebziger Jahren Supermärkte auf der Grünen Wiese. Dazu zählt auch der heutige Globus-Markt, der vormals „real“ und ganz am Anfang „massa“ hieß. Der abgebildete Artikel aus der Nassauischen Landeszeitung (so nannte sich die „NNP“ damals) zeigt, dass „massa“ seinerzeit in Limburg auf Widerstand stieß; jedenfalls hatte die IHK offenbar Einspruch gegen den entsprechenden Bebauungsplan eingelegt. Das war 1974. „massa“ wurde trotzdem gebaut und existiert (unter anderem Namen) bis heute. 
 
Das „massa“-Beispiel hat sich vorher und nachher wiederholt und folgt in der Regel dem gleichen Muster: eine neue Entwicklung tut sich auf – und es wird erst einmal versucht, sie zu unterdrücken, wenigstens vor der eigenen Haustür. So war es, als in der Werner-Senger-Straße das Karstadt-Warenhaus eröffnet werden sollte, als ein „Möbel Müller“ an der Meil geplant war, als es Gedankenspiele gab, im ICE-Gebiet ein FOC zu eröffnen, und auch, als die „WerkStadt“ ihre Pforten öffnete.
 
Die Geschichte lehrt uns: solche Entwicklungen lassen sich nur verzögern oder verlagern („Möbel Müller“ entstand in Görgeshausen, das FOC in Montabaur), nie aber verhindern. Das gilt auch für den Onlinehandel und insgesamt für die Digitalisierung weiter Teile des Wirtschaftslebens.
 
Dass die Betroffenen (in diesem Fall die traditionellen Einzelhändler) auf neue Spieler mit Besorgnis und teils auch Wut reagieren, ist verständlich; schon allein deshalb, weil man den Eindruck nicht los wird, die Politik messe mit unterschiedlichem Maß. Während die Amazon-Logistik 24/7 läuft, müssen die Geschäfte in der Innenstadt sonntags geschlossen bleiben. Während auf der Grünen Wiese bedenkenlos Natur zubetoniert wird, müssen Altstadt-Gastronomen mühsam Parkplätze nachweisen. Während die Kunden der Limburger Läden auf Bus, Bahn und Fahrrad umsteigen sollen, genehmigt man in Montabaur ein FOC, welches fast alle Konsumenten teils aus mehr als hundert Kilometern Entfernung mit dem Auto anfahren. 
 
In besonders krassen Fällen ist daher der Klageweg angebracht. „massa“ zeigt aber: gegen neue Konkurrenz helfen juristische Schriftsätze nur eingeschränkt. Wichtiger sind Flexibilität und Kundennähe. Das ist leichter gebloggt als getan. Zahlreiche Beispiele in unserer Innenstadt zeigen aber: wir haben viele Unternehmer, die jeder Form der neuen (teils unfairen) Konkurrenz Paroli bieten können.
 

 

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