Sonntag, 31. März 2019

Festakt: 100 Jahre Demokratie in Limburg

Regelmäßig tagen die Frauen und Männer der Limburger Stadtverordnetenversammlung im Limburger Rathaus. Gewählt werden sie alle fünf Jahre. Stimmberechtigt sind Frauen und Männer, die ihren ersten Wohnsitz in Limburg haben. Eine Selbstverständlichkeit – heute. Vor 100 Jahren das Ergebnis einer großen Umwälzung. Am 25. März 1919 trat im Limburger Rathaus zum ersten Mal eine Stadtverordnetenversammlung zusammen, in deren Sitzverteilung sich das Ergebnis der allgemeinen, unmittelbaren und geheimen Wahl vom 2. März 1919 spiegelt. Die große Veränderung gegenüber den vorherigen Wahlen: Frauen durften nun auch ihre Stimme abgeben und alle Stimmen hatten gegenüber dem vorherigen Dreiklassenwahlrecht nun das gleiche Gewicht.
 

Muth: "Alle Welt beneidet uns um unsere Demokratie"


„Alle Welt beneidet uns und alle wollen Demokratie, auch die, die bisher keine hatten. Sie wollen alle wählen. Wir sind schon einen Schritt weiter und gehen schon gar nicht mehr hin, wenn Wahl ist. Das ist die nächste Stufe der Demokratie.“ Stadtverordnetenvorsteher Stefan Muth zitierte im großen Sitzungssaal des Limburger Rathauses den Kabarettisten Dieter Nuhr, um den aktuellen Demokratiezustand zu beschreiben. In dem Saal, in dem seit dem 7. Juni 1900 die Sitzungen der Limburger Stadtverordnetenversammlung stattfinden, hatten sich knapp 100 Gäste eingefunden, um den 100. Jahrestag der ersten frei gewählten Stadtverordnetenversammlung festlich zu begehen.
Die heutige Politikverdrossenheit und das damit oft verbundene Gefühl, mit der eigenen Stimme nichts bewirken zu können, bezeichnete Muth als eine Gefahr. „Lassen Sie uns wieder die Politik nach draußen bringen. Lassen Sie uns aber auch so mutig sein, Entscheidungen zu treffen, die nötig sind“, forderte er. Dabei machte er deutlich, dass der heute oft so geschmähte Kompromiss keine Schwäche ist, sondern der am Ende eines Meinungsbildungsprozesses gefunden Kompromiss die Demokratie auszeichnet. „Die Fähigkeit zum Kompromiss ist die Stärke der Demokratie“, verdeutlichte Muth.

Akademischer Vortrag von Stadtarchivar Dr. Waldecker


108 Männer und elf Frauen kandidierten am 2. März 1919 bei der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung. Wie Stadtarchivar Dr. Christoph Waldecker in seinem Festvortrag erläuterte, waren die Männer auf Platz 1 jeweils Namensgeber der jeweiligen Liste. Allerdings waren die Listen durchaus parteipolitisch aufgestellt. Die Deutsche Demokratische Partei (DDP), die Deutsche Liberale Volkspartei (DVP), das Zentrum, eine Freie Bürgerliste und die SPD traten an. Lange Zeit blieb es dabei recht ruhig im Wahlkampf, trotz der großen Veränderungen nach dem verlorenen Krieg, der Abdankung des Kaisers und der Ausrufung der Republik. Lebhaft wurde es erst, als sich Mitte, Ende Februar mit der Freien Bürgerliste eine Gruppierung zur Wahl stellte, die von sich in Anspruch nahm, keine Parteiinteressen zu vertreten, sondern nur die Bürgerschaft. Das stieß bei den anderen Listen, die parteipolitisch gebunden waren, auf erheblichen Widerspruch.

Wie Waldecker ausführte, war die Wahlbeteiligung am 2. März eher schleppend. 7216 Wahlberechtigte gab es in der Stadt (nur heutige Kernstadt), 4759 gaben ihre Stimme ab. Das entsprach einer Wahlbeteiligung von knapp 66 Prozent. Stärkste Kraft wurde mit weitem Abstand das Zentrum/Liste 3 Herckenrath (47,6 Prozent) vor der DDP/Liste 1 Wicher (18,1 Prozent), der SPD/Liste 5 Stein (11,7 Prozent) sowie der DVP/Liste 2 Raht (11,6 Prozent) und der Freien Bürgerliste/Liste 4 Mitter (10,4 Prozent).

"Weimarer Koalition" in Limburg durchgehend stark


Die Listen/Parteien, die auf Reichs- und Landesebene die „Weimarer Koalition“ bildeten und vorbehaltlos hinter dem neu gegründeten Staat standen (DDP, Zentrum und SPD), holten in Limburg mit 77,4 Prozent eine Dreiviertelmehrheit. In Limburg gab es allerdings keine Konkurrenz der extremen Linke, USPD und KPD traten in der Stadt nicht an. Anders als im Reich und in Preußen behaupteten die drei Parteien der „Koalition“ in Limburg auch bei den beiden folgenden Wahlen (1924 und 1929) ihre Mehrheit von über 70 Prozent, erläuterte Waldecker. Dies sei vor allem auf das überdurchschnittlich gute Abschneiden des Zentrums zurückzuführen.

Unter den gewählten 30 Stadtverordneten und den 15 Nachrückern der Wahlperiode hatten nur sechs bereits der alten Versammlung angehört, die nach dem preußischen Dreiklassenwahlrecht gewählt worden war. „Dies macht den starken Wunsch nach einem personellen Neuanfang auf kommunaler Ebene deutlich“, so Waldecker. In der Nationalversammlung gehörten rund ein Drittel der Abgeordneten bereits vor 1918 dem Reichstag an.

Versammlung wählte Dr. Marcus Krüssmann zum Bürgermeister


Die neue Stadtverordnetenversammlung, die am 25. März 1919 zusammentrat, sah sich in der Kontinuität zu den Versammlungen seit 1891, im Protokoll wird die erste Sitzung der neuen Ära als 265. Sitzung vermerkt. Bürgermeister Philipp Haerten verpflichtete die Stadtverordneten durch Handschlag und forderte sie auf zu „tätiger und aufopfernder Mitwirkung an den städt. Angelegenheit zum Wohle der Stadt Limburg und ihrer gesamten Bürgerschaft“. Zum Stadtverordnetenvorsteher wählte die Versammlung mehrheitlich Josef Flügel, Zentrum. Bis zur Neuwahl der Versammlung 1924 kamen die Stadtverordneten zu 65 öffentlichen und 20 nichtöffentlichen Sitzungen zusammen. Sie hatten einen neuen Bürgermeister (Dr. Marcus Krüssmann) zu wählen und beschäftigten sich häufig mit der Versorgung der Limburger Bürger.

Das Saxophonensemble der Kreismusikschule Limburg, Saxsonic, entführte mit seinen Stücken im Laufe des Abends immer wieder in die Zeit der Weimarer Republik beziehungsweise in die Goldenen Zwanziger des vergangenen Jahrhunderts.

Stadtarchivar Dr. Christoph Waldecker erläuterte im Sitzungssaal des Rathauses, wie es zur ersten freien, geheimen, allgemeinen, direkten und gleichen Wahl am 2. März 1919 kam und wie sich die Stadtverordnetenversammlung zusammensetzte. Foto: Limblog

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