Montag, 8. November 2021

Martin Richard 70

WYSIWYG – What you see is what you get. Ältere Menschen erinnern sich noch an diese Abkürzung aus den 80er Jahren. Sie entstammt der Frühphase des Computerzeitalters und steht für: Was man am Bildschirm sieht, wird so auch aussehen, wenn es aus dem Drucker kommt oder abgespeichert und später an anderer Stelle wieder neu aufgerufen wird. Man kann sich darauf verlassen, dass Oberfläche und Inhalt unabhängig von Raum, Zeit und Medium deckungsgleich sind.
 
Martin Richard, Limburger Bürgermeister von 1997 bis 2015, hat dieses Prinzip auf die Politik übertragen und als Mensch sowie Amtsinhaber immer gelebt. Heute wird er 70 – ein Anlass, ihm nicht nur zu gratulieren, sondern auch auf seine Arbeit für Limburg zurückzublicken.
 
Die heutige Computersoftware kriegt das WYSIWYG spielend hin, was man leider nicht von allen Politikern behaupten kann. Es gibt welche, die gehen einmal quer durch die Altstadt und versprechen zuerst einem Cafébesitzer eine großflächigere und abends länger geöffnete Außengastronomie, dann einem Altstadtbewohner mehr Ruhe dank weniger Außengastronomie, anschließend einem Denkmalschützer mehr Denkmalschutz, sodann einem Immobilieneigentümer weniger strenge Denkmalschutzauflagen, schließlich einem Ladeninhaber mehr Stellfläche in der Gasse für seinen Verkaufsstand und last but not least der Feuerwehr freie Gassen für ihre großen Fahrzeuge – und ganz am Ende halten solche Politiker wenig bis nichts des Versprochenen ein.
 
Bürgermeister Martin Richard ist dieser Versuchung nie erlegen. Er war ein Macher, der den Leuten gerne gezeigt hat, was geht; er hat sich aber auch nicht gescheut, ihnen klar zu sagen, was nicht geht – WYSIWYG eben. Im Rückblick kann man sagen: Richard machte möglich, dass sehr viel ging in Limburg. Während seiner Amtszeit erhielten alle Stadtteile und die Kernstadt neue Baugebiete für junge Familien, die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze stieg gewaltig an, während sich gleichzeitig der städtische Schuldenstand mehr als halbierte. Zu seinen besonderen Stärken zählte es, private Unternehmen und Institutionen im Dienste der Stadt tätig werden zu lassen, denn sein Credo war: Staat und Stadt können und sollen nicht alles lösen.
 
Auf diese Weise gelang ihm beispielsweise die Sanierung des Kloster Bethlehem, das zuvor über Jahre dem Verfall preisgegeben war. Auch das Hofgut Blumenrod wäre heute kein derart attraktiver sozialer und kirchlicher Treffpunkt, wenn Martin Richard nicht der entscheidende Ideengeber, Antreiber und Moderator gewesen wäre. Nicht alle der vielen Projekte, die in den 18 Jahren der Ära Richard abgeschlossen wurden, sind so prominent und der Allgemeinheit bekannt – aber kaum eines wäre ohne seine Fähigkeiten und seinem enormen Fleiß verwirklicht worden. Gerade die Limburger Vereine, für die die Bürotür des Bürgermeisters immer offen stand, können ein Lied davon singen.
 
Richards Erfolge sind nicht zuletzt durch seinen Werdegang zu erklären: Der gelernte Bauzeichner und studierte Bauingenieur mit Schwerpunkt Stadtplanung hatte seine berufliche Laufbahn als Wirtschaftsförderer und Referent des damaligen Bürgermeisters Kohlmaier begonnen, um dann über mehr als ein Jahrzehnt das Kreisbauamt zu leiten. Ehrenamtlich engagierte er sich lange als CDU-Fraktionsvorsitzender in der Stadtverordnetenversammlung. Seine Qualifikation war also über jeden Zweifel erhaben, als er 1997 zur Wahl antrat – und sich folgerichtig im ersten Wahlgang gegen drei Mitbewerber durchsetzte.
 
Es war übrigens gut, dass Martin Richard sein gesamtes Berufsleben in Kommunalverwaltungen verbracht hat – und nicht etwa im Auswärtigen Amt oder einer Botschaft. Denn diplomatisches Auftreten zählte nicht immer zu seinen größten Stärken. Hin und wieder hat er es mit dem WYSIWYG übertrieben und dem Einen oder Anderen ohne Not ein bisschen zu doll aufs Füßchen getreten.
Die Limburger überzeugte der Mensch und Politiker Martin Richard, auf den man sich immer verlassen konnte und kann, dennoch – er gewann drei Direktwahlen mit haushohen Mehrheiten und schied 2015 als über alle Parteigrenzen hinweg anerkanntes Stadtoberhaupt aus dem Amt. 
 
Der verheiratete Vater von zwei Kindern lebt nach wie vor in Offheim und ist weiterhin vielfältig engagiert, unter anderem im St. Vincenz-Krankenhaus. Neben der Gremienarbeit widmet er sich dort jedes Jahr einem besonderen Fotoprojekt: Er erstellt einen Limburg-Kalender mit eigenen Bildern, den er zugunsten der Stiftung St. Vincenz verkauft. Auch der Politik ist er noch ein klein wenig verbunden, und zwar als Sprecher der CDU-Delegierten in der Regionalversammlung Mittelhessen. Und wer regelmäßig mit offenen Augen durch Limburg geht, kann ihn auch als Stadtführer treffen. Denn er liebt es, Gästen aus ganz Deutschland „seine“ Stadt nahezubringen – zu deren Geschichte er selbst ein entscheidendes Kapitel beigetragen hat. Ad multos annos!
 
Altbürgermeister Martin Richard

 

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