Dienstag, 29. Oktober 2019

Hat der Limburger Einzelhandel eine Zukunft? (Teil 2)

Ein Limblog-Posting über den gescheiterten Versuch, in der Limburger Innenstadt Geld auszugeben, sorgt seit Mittwochabend für Furore, sowohl digital als auch analog. Es handelte von dem Ansinnen, eine weiße Kinderleggings zu kaufen, welches in zwei Geschäften abschlägig beschieden wurde. Das Argument: Das sei ein "Frühjahrsprodukt", welches man "derzeit nirgendwo" kaufen könne. Amazon lieferte dieses derzeit angeblich nicht existierende Produkt dann mit ca. siebzehn Stunden Lieferzeit an die Haustür. Das Posting endete (zugegebenermaßen sehr zugespitzt) mit: "Das Ende des stationären Einzelhandels ist nah. Und es ist verdient."

Darauf gab es viel Zustimmung, aber auch Kritik. Die Kritik hatte vier Stoßrichtungen, die sich jeweils in einem Zitat zusammenfassen lassen:


1. "Man muss nicht überall sofort die gesamte Produktpalette kaufen können."


Das stimmt, muss man nicht. Kann man aber. Bei Amazon nämlich.
Dieser Strang der Kritik erinnert ein wenig an das Aufkommen der Supermärkte in der 1970er Jahren. Damals hieß es: "Man muss nicht zehn verschiedene Sorten Joghurt und das ganze Jahr über eingelegte Oliven kaufen." Als man es aber konnte, nämlich bei Massa, P&Q und Form, hatten die alteingessenen familiengeführten Lebensmittelgeschäfte (Hermanns im Galmerviertel, Schnells in der Weststadt, Wingenroths in der Brückenvorstadt etc.) früher oder später ein Problem. Keinen der Letztgenannten gibt es heute noch.


2. "Wer im Internet bestellt, muss sich nicht wundern, wenn die Innenstädte aussterben."


Das stimmt. Solidaritätsappelle, wie sie ständig im Internet kursieren ("Buy local!"), helfen aber ebensowenig weiter wie Durchhalteparolen. Langfristig hilft nur Leistung, die den Kunden überzeugt. Und um ein unter manchen Geschäftsleuten verbreitetes Missverständnis aufzuklären: Welche Leistung den Kunden überzeugt, entscheidet der Kunde, nicht der Händler. Bleibt diese Leistung auf breiter Front aus, werden die Innenstädte aussterben - so wie die Tante-Emma-Läden ausgestorben sind (siehe oben).


3. "Gerade wir kleinen inhabergeführten Geschäfte sind doch stets bemüht, Dinge für die Kunden nachzubestellen."


Das stimmt. Nur reicht dieses Bemühen im Jahr 2019 nach Christus und im Jahr 25 nach Bezos einfach nicht mehr aus. "Stets bemüht" ist eine Killerphrase in jedem Arbeitszeugnis. Was da stattdessen stehen muss: "Bediente die Kunden stets zu deren vollsten Zufriedenheit." Ist dies nicht der Fall, trennt man sich voneinander. Das gilt für das Arbeitsleben, und es gilt ebenso für die Beziehung zwischen Händler und Kunden. 


4. "Stationäre Enzelhändler können es einfach nicht leisten,  die gesamte Amazon-Produktpalette vorzuhalten."


Das stimmt. Erwartet auch niemand von ihnen. Was man aber erwarten kann, ist eine zügige Bestellung aller gewünschten (Standard-)Produkte. Zügig heißt schneller als sechs Wochen (erlebt bei einem Spielwarenhändler in der Werkstadt), schneller als drei Wochen (Elektrohändler in Elz) und schneller als eine Woche (Schuhhändler in der Altstadt).

Hier kehren wir zum Ausgangspunkt der Debatte zurück: Zwei Textileinzelhändler konnten Limblog ein absolutes Standardprodukt nicht nur nicht anbieten, sondern machten auch keinerlei Anstalten, es bis zum nächsten Tag zu bestellen. Da stellt sich die Frage: Warum kann der im Laden stehende Laie mit seinem Handy mehr als der Experte hinter der Ladentheke mit seinem Kassensystem - nämlich das Produkt mit drei Knopfdrücken bestellen?

Die Antwort ist ernüchternd: Offenbar benachteiligen die Hersteller "ihre" stationären Einzelhändler systematisch zugunsten von Amazon und der Endkunden. Die Hersteller bieten den Endkunden und Amazon Konditionen, die sie den stationären Händlern nicht bieten. Das muss sich ändern. Alle Händler müssen das können, was die Buchhändler schon seit Jahrzehnten können: Das gewünschte Produkt bis zum nächsten Tag bestellen.


Fazit:


Möglicherweise war es früher einmal ein funktionierendes Geschäftsmodell, "Saisonware" ins Regal zu legen und dann  "abzuverkaufen". Damals haben die Einzelhändler entschieden, was die Kunden gefälligst kaufen wollen sollen. Diese Zeiten sind seit mindestens zwanzig Jahren vorbei.

Einzelhändler, die sich dieser Einsicht verweigern, werden von der Bildfläche verschwinden. Da hilft kein Jammern und kein Moralisieren gegen diejenigen, die diesen Umstand offenlegen. Erfolg bzw. Misserfolg im Geschäftsleben ist nämlich keine moralische Kategorie, sondern die jeweils zu akzeptierende Realität. Es wird Zeit, sich ihr zu stellen.


Als die Läden noch so aussahen, gab es noch keine Probleme mit Amazon&Co.

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