Donnerstag, 28. Januar 2021

Plädoyer für eine ENTdigitalisierung der Grundschulen

Die Corona-Krise hat die Digitalisierung der Schulen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Schon seit Jahren versuchen interessierte Kreise, die angebliche Notwendigkeit einer stärkeren IT-Ausrichtung und –Basierung des Bildungswesens herbeizureden. Limblog meint: Zumindest die Grundschulen brauchen nicht mehr, sondern weniger Digitalisierung. Dazu sieben Thesen:

 
[1] Spätestens seit der berühmten „Hattie-Studie“ ist wissenschaftlich untermauert, was der gesunde Menschenverstand schon seit der Antike weiß: Im Mittelpunkt jedes Bildungsprozesses muss der Lehrer stehen. Nicht die Technik. Nicht die Kultusbürokratie. Nicht die Frage Dreigliedrigkeit vs. Gesamtschule. Der Lehrer.
 
[2] Lernen ist ein emotionaler Prozess. Der Satz des Pythagoras und die unregelmäßigen Verben des Englischen werden besser verstanden und erinnert, wenn ihre Vermittlung mit Emotionen verknüpft sind. Jeder kennt Lehrer, von denen die Klasse begeistert war. Diese Begeisterung hat nicht deren fachliche Qualifikation ausgelöst, sondern die perfekte Mischung aus Empathie und Ausstrahlung einerseits und Konsequenz und Strenge andererseits. Solche Lehrerpersönlichkeiten kann kein Computer ersetzen. Und keine Technik der Welt kann die Emotionen transportieren, die solche Persönlichkeiten ausstrahlen.
 
[3] Es stimmt, dass die Informationstechnologie die Schlüsseltechnologie der Gegenwart und der Zukunft ist. Jeder junge Mensch muss darauf vorbereitet werden, mit dieser Schlüsseltechnologie umzugehen und sie idealerweise sogar selbständig weiterzuentwickeln. Die Frage (für die Grundschulen) ist nur, WIE man Kinder darauf am besten vorbereitet. Jeder spätere Erfolg – ob als Handwerker, IT-Experte, Hausmann oder Wissenschaftler – setzt (in dieser Reihenfolge) Empathie, Kreativität und Intelligenz voraus. Dafür brauchen wir keine „Laptop-Klassen“. 
 
[4] Empathische, kreative und intelligente Erwachsene haben dem Lehrer in ihrer Kindheit nicht beim Rumwischen auf einem Smartboard zugeschaut. Sie haben den Spunk gesucht, schöne Klassenausflüge gemacht und sich beim Betrachten der Wildgänse am Himmel gefragt, ob da nicht vielleicht doch ein Däumling mit seinem Hamster mitfliegt.
 
[5] Wer Kinder mit Computer-Algorithmen vertraut machen will, sollte ihnen im Grundschulalter die Zeit geben, sich mit den für sie wirklich relevanten Algorithmen zu beschäftigen. Das kann die Geheimsprache von Kalle Blomquist sein, die Abseitsfalle oder die Bauanleitung eines Lego-Sets.
 
[6] Die Corona-Notlösung, das Klassenzimmer teilweise durch Online-Unterricht zu ersetzen, ist kein Argument für die Digitalisierung der Grundschulen. Im Gegenteil: die Lockdowns haben erst recht gezeigt, dass möglichst nichts zwischen dem Lehrer und seinen Schülern stehen sollte. Und eine weitere Lehre aus der Pandemie ist: Unter der (in diesem Fall zwangsweisen) Digitalisierung der Grundschulen leiden diejenigen Schüler am meisten, die den direkten Kontakt zu ihrem Lehrer am nötigsten brauchen.
 
[7] Geld und Zeit sind endlich. Was in die Digitalisierung fließt, steht nicht mehr für Bibliotheksprojekte, Museums-Workshops und Sportfeste zur Verfügung.
 
Fazit: Dreh- und Angelpunkt jeder erfolgreichen Bildungspolitik müssen die Lehrer sein. Sie brauchen eine gute Ausbildung, eine hohe Motivation und ansprechende Arbeitsplätze mit der erforderlichen Ausstattung. Die Zukunft gewinnt jedoch ganz sicher nicht, wer in der Gegenwart ohne Sinn und Verstand Smart-Boards in die Klassenzimmer der Grundschulen hängt, gleichzeitig aber die Schultoiletten verrotten lässt, die Rektoren und Direktoren mit Bürokratie überhäuft und die Lehrer von einer Bildungsreform zu nächsten hetzt.
 

 

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