Montag, 19. März 2018

Warum der Mundipharma-Deal falsch ist: Sieben Thesen


Die Stadtverordnetenversammlung hat heute Abend mit großer Mehrheit beschlossen, die bald weitgehend leerstehenden Mundipharma-Gebäude für knapp elf Millionen Euro zu übernehmen und gemeinsam mit dem Bistum zu nutzen. Jedenfalls stimmten die Stadtverordneten dem Projekt grundsätzlich zu und erteilten Bürgermeister und Magistrat einen entsprechenden Verhandlungsauftrag. Stadt und Kirche wollen auf der Dietkircher Höhe einen großen Teil ihrer jeweiligen Verwaltungseinheiten unterbringen. Hintergrund der Entscheidung ist, dass die derzeit genutzten Bürogebäude an der Pusteblume (Stadtverwaltung)) bzw. am Huttig (Bischöfliches Ordinariat) angeblich dringend sanierungsbedürftig sind. Als Rathaus will man in der Innenstadt nur noch den älteren Teil (gegenüber Karstadt) für ein Bürgerbüro sowie für die Sitzungen der städtischen Gremien nutzen.


Warum diese Pläne falsch sind, sollen die folgenden Thesen erläutern.



[1] Der Deal wird rein technokratisch begründet und ist deshalb kurzsichtig.


Die Argumente der Befürworter konzentrieren sich auf Kostenfragen, Verwaltungseffizienz und technische Machbarkeit. Eine Analyse der Auswirkungen auf das Gefüge unserer Stadt als in über einem Jahrtausend gewachsenem, organischen Gemeinwesen unterbleibt völlig. Eine ähnliche Entwicklung gab es in den 1970er Jahren in den amerikanischen Städten. Stadtplaner priesen die Vorzüge der „Suburbs“ und plädierten für eine Verlagerung zentraler Funktionen in die verkehrstechnisch besser erreichbaren und effizienter zu handhabenden Außenbereiche. Wie heute in Limburg argumentierte man dort damals rein technokratisch und betriebswirtschaftlich. Das führte zu einem Niedergang der US-Innenstädte, auf den seit zwei Jahrzehnten mit massiven Gegenmaßnahmen reagiert wird („Revitalise Downtown“) – unter anderem in Form der Ansiedlung von Behörden im Zentrum.



[2] Der Deal wird der Innenstadt langfristig schwer schaden und ist allein schon deshalb eine Katastrophe für Limburg.


Wir haben, im Gegensatz zu vielen kleineren und größeren Städten im Umkreis, nach wie vor eine funktionierende, attraktive Innenstadt. Offenbar sehen die Befürworter des Mundipharma-Deals diesen Zustand als selbstverständlich an. Die Innenstadt könne den Wegzug einer dreistelligen Zahl von städtischen (und noch mehr kirchlichen) Mitarbeitern verkraften und außerdem werde ja vielleicht an der Stelle des bisherigen Rathauses ein Hotel gebaut. Diese Argumentation greift zu kurz. Standortentscheidungen wie die vorliegende sind Entscheidungen für Jahrzehnte. Zu prüfen ist deshalb in erster Linie nicht, was der Umzug für die heutige, sondern für die Innenstadt des Jahres 2030, 2040 oder 2050 bedeutet. Das ist zwar ohne funktionierende Glaskugel zugegebenermaßen schwierig, aber wir müssen leider damit rechnen, dass es für die Limburger Innenstadt in Zukunft nur eine Entwicklungsrichtung geben wird: abwärts. Schon jetzt dürfte eine Vielzahl der Läden bestenfalls eine schwarze Null erwirtschaften. Den Gastronomen geht es etwas, aber nicht viel besser. Der Onlinehandel wird bewirken, dass die übergroße Mehrheit der jetzigen Boutiquen etc. in spätestens zehn Jahren kein funktionierendes Geschäftsmodell mehr hat. Und über die leerstehende Karstadt-Immobilie werden wir uns spätestens in der ersten Hälfte des kommenden Jahrzehnts unterhalten müssen.



[3] Der Deal konterkariert auch kurzfristig alle Bemühungen, die Innenstadt zu stärken, und ist deshalb inkonsistent.


Seit Jahren gibt die Stadt Millionen aus, um den Standort Innenstadt attraktiv zu halten. Als Kreissparkasse und Kreisverwaltung vor Jahren darüber nachdachten, Teile ihres „Back Office“ an andere Standorte zu verlagern, machte das Rathaus seinen ganzen Einfluss geltend, und erreichte einen Erweiterungsbau an der Diezer Straße. Auch das Kino in der Dr. Wolff-Straße sollte zunächst auf die Grüne Wiese, kam dann auf Drängen der Stadtpolitik aber in die Innenstadt. Der Mundipharma-Deal steht diesen jahrzehntelangen Anstrengungen diametral gegenüber. Wie will das Rathaus für Investitionen in die Innenstadt werben, wenn es selbst mit schlechtem Beispiel vorangeht und die Innenstadt verlässt?



[4] Der Deal nutzt vor allem dem Bürgermeister und dem Ersten Stadtrat sowie deren Mitarbeitern und ist deshalb mit größter Vorsicht zu genießen.


Die Verwaltung steht vor dem großen Problem, das derzeitige „neue“ Rathaus an der Pusteblume in den kommenden Jahren von Grund auf sanieren oder abreißen und (dort oder an anderer Stelle) neu bauen zu lassen. Das ist eine hochkomplexe Angelegenheit und mehr als lästig für die städtischen Bediensteten, die entweder jahrelang Baulärm ertragen oder ständig in Ausweichquartieren arbeiten müssen. Darauf haben weder die Rathausmitarbeiter noch deren beide Chefs Lust. Was liegt da näher, als einfach in hochmoderne Büros mit Klimaanlage und Parkplatz vor der Tür umzuziehen? Dass die Mundipharma-Option bei den Vergleichsrechnungen der Stadt die günstigste Variante darstellt, verwundert daher nicht wirklich. Externe Expertise hingegen wurde so keine eingeholt.



[5] Der Deal unterstützt den fatalen Trend in Richtung „Grüne Wiese“ und ist deshalb nicht nachhaltig.


 Bürostandorte im Außenbereich erzeugen unnötigen Verkehr, führen zur Zersiedelung der Landschaft und fördern den Flächenfraß, unter dem Natur und Landwirtschaft immer stärker zu leiden haben. Der Mundipharma-Komplex steht zwar bereits (bewirkt also direkt keinen neuen Flächenverbrauch); allerdings sorgt die Stadtverwaltung mit ihrem Kaufangebot für zusätzliche Nachfrage nach „Grüne-Wiesen-Flächen“, die weitere Investitionen in den Randgebieten der Siedlungen lohnend macht. Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger grüne Wiese. Die Politik sollte hier mit gutem Beispiel vorangehen.


[6] Der Deal soll durchgepeitscht werden und lässt deshalb viele Fragen offen.


Gestern hat die Mehrzahl der Stadtverordneten den Magistrat ermächtigt, Verhandlungen über den Kauf des Komplexes zu führen. Interessant dabei ist, dass der Kaufpreis schon jetzt feststeht. Was sind das für Verhandlungen, bei denen der Verkäufer schon zu Beginn weiß, was der Käufer bezahlen will? Sind die Eigentümer des Mundipharma-Areals wirklich in einer so guten Verhandlungsposition, dass man ihnen das Geld der Steuerzahler praktisch nachtragen muss? Warum wurden keine Alternativen aufgebaut (z.B. ehemalige Blechwarenfabrik), um ein finanzielles Entgegenkommen zu erwirken? Warum mussten die Stadtverordneten diese gravierende Grundsatzentscheidung unter einem derartigen Zeitdruck treffen? Warum erfuhren sie davon nicht im Rahmen der üblichen Gremienberatungen, sondern per Pressemitteilung? Warum bekommen die Stadtverordneten keine externen Sachverständigengutachten bezüglich der Kosten aller denkbaren Alternativen?


[7] Der Deal spielt dem Rendite-Kapitalismus in die Hände und ist deshalb instinktlos.


Vor einem Jahr teilte die Konzernleitung von Mundipharma lapidar mit, der Standort Limburg werde aufgegeben.  Gesprächsangebote der Stadt und des Betriebsrates wurden ignoriert, Briefe, wenn überhaupt, mit an Beleidigung grenzender Kürze „beantwortet“. Die Stadt und die Arbeitnehmer wurden vor den Kopf gestoßen – und das nach Jahrzehnten vertrauensvoller Zusammenarbeit. Dass man dem Immobilieneigentümer jetzt Millionen hinterherschmeißt, ist vor diesem Hintergrund mehr als bedenklich, weil ein solches Geschäftsgebaren damit noch belohnt wird. Dass die „Fidelio Healthcare“ mit einer beachtlichen Zahl von Arbeitsplätzen aus dem Mundipharma-Nachlass am Standort bleibt (keiner weiß, wie lange), macht die Sache nicht bessere – ebenso wenig wie die peinlichen Unterwerfungsgesten einzelner Stadtpolitiker gegenüber den bei der Sitzung anwesenden Managern.

Für elf Millionen Euro will die Stadtverwaltung zu großen Teilen in den ehemaligen Mundipharma-Komplex umziehen.

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